Die chinesische Hochzeit

Sven hat seinen Arbeitgeber vor etwas mehr als drei Jahren gewechselt und hatte dort einen Direktionsfahrer. Dieser heiratete und wollte seinen alten Chef dabeihaben. So kam ich auf diese Hochzeitsfeier. Nun muss man wissen, dass Zahlen in China eine große Bedeutung haben. Aber nicht nur das, auch Wochentage, das Datum und die Jahre verheißen Glück oder Reichtum und ähnliches. In der Woche vom 1. bis zum 7. Mai fanden in Shanghai über 30.000 Hochzeiten statt (dreißigtausend). Zum einen war das eine „gute“ Woche mit einigen besonders guten Tagen. Zum anderen ist es der Wunsch vieler Paare im kommenden Jahr ein Kind auf die Welt zu bringen, weil es „ein besonders guter Jahrgang“ wird.

Auf dem Tisch an dem wir saßen lag eine Karte auf der alle Gäste aufgeführt waren, die an diesem Tisch sitzen sollten. Vor meinem Namen stand VIP. Ich muss sagen, dass gefiel mir. Natürlich besonders, weil dieser Zusatz bei Sven fehlte.

Die Braut hatte beim Empfang ein tolles weißes Kleid an und sah sehr schön aus. In den kommenden drei Stunden trug sie dann noch ein rotes Kleid und ein goldfarbenes Kleid. Dazu jedes Mal passend geschminkt und frisiert. Ja richtig: die Frisur wechselte auch. Die Logistik dahinter ist bewundernswert. Es fanden bestimmte Rituale statt, wie zum Beispiel das Befüllen einer Champagnerpyramide, die dreistöckige Hochzeitstorte anschneiden und die Reden der stolzen Väter in Mandarin und Shanghainese. Der Hauptpunkt war das aufstecken der Eheringe.

Ab da ging die Post ab. Getanzt wurde nicht aber der Bräutigam wurde in der Abwesenheit der Braut von einigen seiner bereits verheirateten Freunde an deren Tisch „entführt“. Die so genannten Freunde haben diesen Tag „der süßen Rache“ lange herbeigesehnt und haben, zum Leidwesen der Braut, vorab schon mal einige Flaschen Rotwein geordert. Was jetzt passierte verschlug mir schlicht die Sprache. Man befüllte Weingläser, natürlich randvoll, und trank sie auf ex aus. Der Bräutigam wurde innerhalb von vielleicht 10 Minuten mit etwa 10 Gläsern Rotwein auf ex abgefüllt. Jetzt kenne ich die Wirkung einer solchen Maßnahme. Der Mann war schlicht total groggy, besoffen, vergiftet. Er rettete sich an den Hochzeitstisch und beschloss dort auf seine (künftige Ex-?) Frau zu warten.

Einige seiner Freunde brachten ihn schließlich zur Toilette, wo er versuchte wenigstens den Alkohol, der noch nicht im Blut war, zu entsorgen. Derweil war seine Frau eingetroffen und wartete am Saaleingang auf ihren Mann, der sie ja zum Tisch geleiten sollte. Dann wurde es echt witzig. Er, besoffen, sie, auf Haltung achtend, „Schreiteten“ sie, gestützt von einem Verwandten zum Hochzeitstisch.

Dann nahm der Abend eine für mich dramatische Wendung. Neben dem Bräutigam waren noch einige weitere Exkollegen auf der Feier und die beschlossen nun den alten General Manager und den VIP Gast auf chinesische Art abzufüllen. Dazu kam, dass wir die einzigen Langnasen auf der Feier waren. Das bringt schon mal einige stierende Blicke mit sich. Man wollte mal schauen, was wir denn so in der Lage waren auszuhalten.

Ich leerte innerhalb von nur 5 Minuten 6 Gläser Rotwein auf ex. Nach weiteren 10 Minuten hatte ich weitere (dann allerdings nur halb befüllte) 4 Gläser getrunken. Ich war in Trouble. Wie kommt man aus so inner Sache wieder raus? Gar nicht. Der Bräutigam kam, gestützt von seiner Frau, zu unserem Tisch, denn auch er wollte mit uns anstoßen. Großer Jubel brach aus, weil man ihm das nun gar nicht mehr zugetraut hatte. Der Unterschied zu ihm und uns Langnasen ist nur, wir sind 30 cm größer, bringen 30kg mehr auf die Wage und haben damit wohl einige Liter mehr Blut im Körper. Und dann natürlich die Sache mit der Gewohnheit.

Sven und ich haben uns also für die Einladung bedankt und mit ihm angestoßen. Und dann passierte es. Er fing an zu würgen. Das letzte Glas war wohl zu viel. Zur linken stand seine Frau, also drehte er sich wieder um (geschickter Schachzug für eine glücklichere Zukunft). Da stand ich. Zum Glück hielten ihm die anderen direkt Tücher vors Gesicht, während ich hektisch versuchte, aus dieser Position zu entkommen. Auf dieser Flucht ließ ich mein Jackett zurück, was dann mit einigen Spritzern Magensaft bestraft wurde. Ich glaube ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich diesen Anzug zum ersten Mal trug. Ich hatte ihn in New York in besagtem Outlet preiswert erstanden. Das tut weh.

Vom Empfang bis zum Verlassen des Saales brauchte es 3 Stunden und 15 Minuten. Laut Christina ist das wohl nahezu immer so.

Eine andere Auffälligkeit der Chinesen ist aus der Sicht eines Europäers das Verhalten bei Tisch. Die Chinesen lieben es beim Essen Fernsehen zu gucken. Somit hängen in jedem Restaurant Fernseher an den Wänden. Es wird nicht unbedingt geschaut aber sie müssen dort sein.

Dann isst man immer mehrere Gerichte parallel (siehe auch meinen Bericht über Vancouver). Das sind dann ein oder zwei Gemüsesorten, Fisch, Hünchen und Fleisch vom Schwein und/oder Rind. Man sagt schon mal „white dishes“, wenn ausschließlich Fisch und Hünchen und Schwein auf dem Tisch steht. Dazu gibt es meist noch eine Suppe und wer mag, Reis. Das Essen wird fortlaufend gebracht. Das bedeutet, man isst die meisten Gerichte durcheinander. Hier das scharfe Rind, dann ein zwei süßsaure Scampi, Brokkoli, und zurück zum Hünchen oder Rind. Ist ganz witzig aber gewöhnungsbedürftig.

Die Scampi (die Größten waren etwa 15 cm lang) werden komplett gegessen. Klar ohne Schale aber der Kopf wird ausgesaugt. Ich habe vieles probiert, wie zum Beispiel Vogelzungen aber da habe ich eine Grenze gehabt, die ich nicht überwinden konnte. Greten und Knochen werde auf den Teller gespuckt. Das an sich geht noch, nur konnte ich mich in der Kürze der Zeit nicht daran gewöhnen, dass Hünchen beispielsweise zerteilt serviert werden ohne tranchiert zu sein. Das bedeutet an jedem Stück Fleisch hängen noch die Knochen. Da die Teile aber zu klein zum Abnagen sind, nimmt man das ganze Stück in den Mund und spuckt die Knochen dann auf den Teller. Da mit offenem Mund gekaut wird, was meist ein intensives Schmatzen zur Folge hat, kommt eine ganz schöne Geräuschkulisse zusammen. Auch der eine oder andere intensive, aus den Tiefen des Körpers kommenden Rülpser wurde vernommen.

Andere Länder andere Sitten. Ich muss sagen, dass ich die Hochzeitsfeier und die Restaurantbesuche immer sehr genossen habe. In Luxembourg würde mich das wohl stören aber dort habe ich mich ohne Rülpser integriert.

Gruß aus China

Dirk
tanja123 - 11. Mai, 13:29

Reuters Party ....

Lieber Dirk,
ich habe mich wirklich gefreut, Dich mal wieder "live" und in Farbe zu sehen, nachdem ich nun schon viele Wochen Deine spannenden Reiseberichte verfolge. Bin immer sehr neidisch . Jetzt weiß ich auch, warum Du gefragt hast, ob ich den Bericht über die chinesische Hochzeit schon gelesen hätte..... habe dies gleich heute nachgeholt ! Es ist erstaunlich, daß Du nach diesem Alkoholgenuß überhaupt noch etwas davon weisst ...;-))
Also dann, bis hoffentlich bald mal, und weiterhin viel Spaß beim Reisen !
Tanja

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